Kawasaki W 1 / W 1SS (2024)

aus bma 11/04

Text & Fotos: www.winni-scheibe.de

Kawasaki W 1 / W 1SS (1)In den sechziger Jahren war England weltgrößter Motorradhersteller. Kein Wunder, wenn die Bikes von der grünen Insel allerortens als Vorbilder dienten. Weltmeister im Abkupfern westlicher Maschinen waren damals die Japaner. Wer’s nicht glaubt, braucht nur die Geschichte über die 650er W1 von Kawasaki zu lesen.
Bei uns beginnt für die meisten Biker die Zeitrechnung für japanische Motorräder Mitte bis Ende der sechziger Jahre. Für manche begann 1965 der Startschuß mit der Honda CB 450, für andere im gleichen Jahr mit Suzukis T 250, Yamaha Fans erinnern sich an die 350er DS-3, und im Kawa-Lager wird bei Nennung der 500 H1 „Mach III” vor Freude in die Hand geklatscht. Was allerdings vor dieser Zeit in Japan abging, wissen die wenigsten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg teilte Japan mit Deutschland das gleiche Schicksal. Das Inselreich lag in Schutt und Asche, der Wiederaufbau kam ähnlich flott wie bei uns in die Gänge und bald gab es im Nipponland weit über 100 Motorradhersteller. Sie hießen Asaki, Bridgestone, Cabton, Meihatsu, Marusho, Meguro, Misima, Rikuo, Riruo, Lilac, Fuji und Gasuden, um hier nur einige zu nennen. Im Prinzip durfte es den Motorradfans in der restlichen Welt allerdings schnuppe sein. Die Feuerstühle gab es außer in Japan nirgendwo zu kaufen, denn an den Export dachten die japanischen Hersteller noch lange nicht. Zunächst galt es, den eigenen Markt zu versorgen. Die Nachfrage war gewaltig. Und so blieben die Motorräder mit 125, 250, 350 und 500 Kubik im Land der aufgehenden Sonne. Bereits Mitte der fünfziger Jahre betrug die Jahresproduktion über 200.000 Einheiten, Tendenz steigend.

Kawasaki W 1 / W 1SS (2)In dieser Zeit gab es in Japan an jeder Ecke eine Motorradfirma. Viele Manufakturen bauten allerdings nur Fahrgestelle. Den erforderlichen Motor und alle weiteren Sachen bezog man von Zulieferfirmen. Andere wiederum hatten sich auf die Fertigung von Triebwerken spezialisiert. Auch bei Kawasaki, ein gigantischer Industriekonzern, der mit der Produktion von Schiffen, Hochseetankern, Lokomotiven und Flugzeugen groß geworden war, gab es eine Abteilung, in der man Motorradtriebwerke baute. Allerdings nicht, weil bei den Kawasaki-Managern Motorradblut in den Adern floß, sondern als Notlösung. Nach Kriegsende hatten die alliierten Siegermächte der japanischen Industrie verboten, Flugzeuge zu bauen. Um aber im Kawa-Werk diese freien Kapazitäten auszulasten, wurden die Produktionsanlagen kurzerhand auf die Herstellung von Zwei- und Viertakt-Motorradaggregaten mit 60, 150 und 250 ccm umgestellt. Für diesen neuen Geschäftszweig hatte das Unternehmen 1952 die Tochter-Firma Meihatsu gegründet. Hauptabnehmer der Einbauaggregate war Fuji, IMC und Gasuden. Es sollte allerdings nicht ausschließlich beim Bau von Triebwerken bleiben. Kaum zwei Jahre nach der Gründung von Meihatsu fertigte man einen 60 ccm-Roller. 1954 folgte das erste Meihatsu-Motorrad mit 125 ccm Zweitakt-Triebwerk.
Gemessen an den Aktivitäten des Mutterhauses tauchten die Umsätze von Meihatsu in der jährlichen Bilanz jedoch weit hinter dem Komma auf. Kawasaki gehörte bereits damals zu den ganz großen Konzernen in Japan, in der breiten Öffentlichkeit war der Name jedoch kaum bekannt. Diesen Imagemangel wollte man mit einem verstärkten Engagement im Zweiradbereich verändern. Über Motorräder wurde gesprochen und motorsportliche Ereignisse in den Zeitungen abgedruckt. Als Werbeträger waren sie geradezu ideal. Bestes Beispiel hierfür war ja Honda. Jeder im Land kannte diese Firma. Um den mühseligen Weg der jahrelangen Entwicklungs- und Testphase abzukürzen, beschloß Meihatsu alias Kawasaki, Anfang der sechziger Jahre mit Meguro gemeinsame Sache zu machen. In Akashi wurden die beiden Firmen unter einem Dach vereint und produzierten ab dieser Zeit Motorräder von 50 bis 500 ccm. Das Topmodell war besagte K1, die nun die neue Typenbezeichnung K2 und den Kawasaki-Namenszug am Tank trug. Als Sonderausführung für den Polizeidienst gab es parallel zunächst die K1P und später die K2P.
Kawasaki W 1 / W 1SS (3)Nun wäre Kawasaki allerdings nicht Kawasaki, würde man sich mit der Situation einfach abfinden. Etwas Superlatives, Einzigartiges und Extravagantes mußte her. Ein Bike, das schneller und stärker als die Maschinen der Konkurrenz war, ein Image, das Kawa bis zum heutigen Tag pflegt. Für dieses Vorhaben brauchten sich die Manager aber nichts Neues einfallen zu lassen, man bediente sich einfach aus der eigenen Modellpalette. Der 500er K2-Motor wurde frisiert und die Fahrzeugoptik geliftet. Um den Hubraum aufzustocken, setzten die Techniker in Akashi den Bohrer an und vergrößerten den Zylinderinhalt von 497 auf 624 ccm. Auch der Zylinderkopf wurde in die Mache genommen. Die Verdichtung erhöhte man von 8:5 auf 8:7 und konnte so die Motorleistung von 33 auf 50 PS steigern.
Optisch und bei einigen Details mußte sich die K2 einen Rundumschlag gefallen lassen. Eine Duplex-Trommel mit 200 mm Durchmesser im Vorderrad, schlanke Chromschutzbleche, eine modifizierte Telegabel mit Faltenbälgen über den Standrohren, ein neuer Lampentopf mit eingebautem, kombiniertem Tacho-/Drehzahlmesser-Instrument sowie eine komfortable Sitzbank waren die herausragenden Änderungen. Die frischgebackene 650er bekam den Namen Kawasaki W1.
Stolz wie Oskar präsentierte man das neue Topmodell im Oktober 1965. Doch die westliche Fachwelt konnte sich das Grinsen kaum verkneifen. Die Ähnlichkeit zur BSA A7 war immer noch zu offensichtlich. Aber nicht nur das. Inzwischen hatte BSA die A7- und A10-Modellreihe längst gegen die A65-Generation mit dem neuen Blockmotor ersetzt. Den Kawa-Leuten war das aber egal. Ab 1966 stand die W1 erst bei den japanischen und bald darauf bei den amerikanischen Händlern in den Schaufenstern. In Japan wurde sie zum Knüller. Es gab nichts Vergleichbares.
Kawasaki W 1 / W 1SS (4)Ganz anders in den USA. Hier holte sich der „Copy-Rider” Plattfüße. Die amerikanischen Biker waren clever genug, um sich kein X für ein U vormachen zu lassen. Nicht nur, daß die 650er Kawa wie ein altes englisches Bike aussah, sie fuhr sich auch so. Aber das war nicht der wirkliche Ausschlag für den Mißerfolg in den Staaten. Die Ansprüche an ein modernes Bike hatten sich seit einiger Zeit grundlegend gewandelt. Die „echte Männermaschine” war nicht mehr der beinharte Donnerbolzen, der sich ausschließlich nur via Kickstarter in Gang bringen ließ und an jeder Ecke repariert werden mußte; was neuerdings zählte, war Komfort, Zuverlässigkeit, seidenweicher Motorlauf und spritzige Beschleunigung.
Kawasaki erkannte die fatale Fehleinschätzung des US-Marktes und reagierte umgehend. Noch im gleichen Jahr brachte das Werk die A1 Samurai, einen 31 PS starken 250er Zweizylinder-Zweitakter, unters sportbegeisterte Bikervolk. Ihr folgte die 350er Avenger mit 42 PS und Ende 1968 die berühmt-berüchtigte H1 Mach III mit dem 60 PS starken Dreizylinder-Zweitakt-Triebwerk.
Auf einmal war der Name Kawasaki in aller Munde. Der junge japanische Motorradhersteller wurde zum Inbegriff agiler Zweitaktmaschinen. Die Samurai, Avenger und Mach III waren phantastische Sportler, mit denen sich locker jeder dicke Hobel verblasen ließ. Es waren rassige „Rennmaschinen mit Straßenzulassung”, die haargenau die Träume damaliger Motorradfahrer erfüllten.
Der Viertakt-Twin blieb allerdings weiterhin im Programm und wurde von Jahr zu Jahr immer etwas verbessert. Die Modelle hießen W1, W1SS, W2SS und W2TT, 1970 folgte auf die W2SS die W1SA Grand Touring. Im Prinzip war es allerdings kein neues Motorrad, nur einige Detailmodifikationen waren beachtenswert, denn Leistungs- und Fahrwerksdaten blieben über die gesamte Bauzeit unverändert. Die wichtigste Änderung war, daß der Schalthebel nun links saß und das Pedal für die Hinterradbremse rechts. Als letzte Evolutionsstufe in der W-Baureihe kam 1973 die W3 650 SS auf den Markt, veredelt mit Instrumenten, Tank, Telegabel einschließlich Scheibenbremsanlage und Federbeinen von der Z 900 Z1.
Ende 1974 stellte Kawasaki die Produktion der W-Generation ein. Gut zehn Jahre war der Schüttelbock im Angebot und rollte 26.289 mal vom Fertigungsband in Akashi. Abgesehen vom japanischen Markt blieb sie allerdings weitgehend unbekannt.

Technische Daten Kawasaki W1 (W1SS in Klammern):

Motor:
Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Motor; Hubraum 624 ccm; Bohrung x Hub 74 x 72,6 mm; 50 PS bei 6500 U/min (53 bei 7000); max. Trockensumpfschmierung 3 Liter SAE 30

Tankinhalt 15 Liter; Leergewicht 181 kg, Spitze: 180 km/h (185 km/h)

Getriebe:
Primärantrieb über Duplexkette; Mehrscheiben-Kupplung im Ölbad; Klauen geschaltetes Vierganggetriebe; Sekundärantrieb über Kette; Kickstarter

Fahrwerk:
Doppelschleifenrohrrahmen; Telegabel, Hinterradschwinge; zwei Federbeine; vorn: Duplex-Trommelbremse; Ø 200mm, hinten: Simplex-Trommelbremse Ø 180 mm

Kawasaki W 1 / W 1SS (2024)

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